Pfingstsonntag

+22.05.2021+ 1. Mose

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.                                                                       1.Mose 11, 1-9

Liebe Gemeinde, Gottes Geist ist ein frischer Geist. Er lässt uns Neues entdecken und neue Einsichten gewinnen. Er führt uns aus Enge und Beschränkung heraus. Er ermutigt uns und erfreut uns. Von Gottes Geist inspiriert möchte ich mit Ihnen/euch neue Entdeckungen machen. Dazu ist uns an diesem Pfingstfest jene alte Erzählung vom Turmbau zu Babel geschenkt.
1. Als ich begonnen habe, Theologie zu studieren, habe ich von meinem Onkel ein Buch bekommen, das den aufregenden Titel trug: Und die Bibel hat doch recht. Inhaltlich ging es um Berichte von Ausgrabungen und archäologischen Entdeckungen im Nahen und Mittleren Osten. Gegen die Behauptung, die Bibel sei voller erfundener Geschichten, voller Märchen und Lügen, wurde hier festgestellt: Schaut euch archäologische Befunde an, dann seht ihr: Und die Bibel hat doch recht. Es gab all diese Orte, von denen in der Bibel zu lesen ist. Es gab auch Babylon und den Turmbau zu Babel. Die archäologisch Interessierten staunten ja bereits Jahrzehnte vor Erscheinen dieses Buchs über die Ausgrabungsbefunde des antiken Babylon mit seiner mächtigen Tempelpyramide. Allerdings ist dies keine Entdeckung, zu der uns Gottes Geist heute inspiriert.

2. Die Worte unserer Erzählung aus dem Buch der Anfänge nimmt auf, wonach alle Welt einerlei Zunge und Sprache hatte. Menschen in früheren Zeiten haben damit erklärt, weshalb es so viele unterschiedliche Sprachen gibt. Ist das alles, denke ich? Was brauchen wir zu Pfingsten so ein Bibelwort? Wo ist der Geist Gottes? Wo ist die Inspiration? Ist Gott also schuld daran, dass ich Sprachen lernen musste? Ich zweifle daran, dass diese Geschichte wegen der Vielfalt der Sprachen erzählt wurde, als ob die Menschen vor über 2500 Jahren wirklich so einfach gestrickt waren!

Beginnt mit Gottes Pfingstgeist ein neues Zeitalter der Menschheit?
3. Immer wieder entdecke ich eine große Tradition des christlichen Denkens. Sie erkennt: Der Geist Jesu begegnet uns bereits in der Heiligen Schrift seines Volkes, also in unserem Alten Testament. Und dann werden die großen Linien beschrieben: So wie der einzigartige König David, so ist unser König der Herzen, Jesus, ein einzigartiger König. Und doch sind beide so unterschiedlich. Darum ist David der Typos, das Urbild. Und Jesus, der ganz andere König, ist der Antitypos, das neue Bild. Eine solche Beziehung haben die Glaubenden der frühen Zeit auch zwischen dem Anfang des Menschen, Adam, und dem Anfang des Neuen Menschen, Jesus, entdeckt. Paulus hat davon geschrieben: „Wie durch einen der Tod, so kommt durch einen die Auferstehung von den Toten.“ In dieser Linie von Beziehungen haben die Christen der frühen Zeit auch die Erzählung vom Turmbau zu Babel verstanden. Sie haben das Pfingstwunder zu der von Gott bewirkten Verwirrung der Sprachen in Kontrast gesetzt. Typos, Urbild – die Menschen verstehen einander nicht mehr, gegen Antitypos, neues Bild: Die Menschen können einander wieder verstehen trotz unterschiedlicher Sprachen. Denn Gottes Geist macht das auf wunderbare Weise möglich. Keine Frage. In dieser Deutung steckt viel Geist Gottes. Aber Gottes Geist ist weiter und führt uns darum auch weiter.

4. Wichtig ist nun, dass man diese Sichtweise Typos – Antitypos nicht gegeneinander ausspielt? So als wäre das Alte Testament die dunkle Geschichte, das Neue Testament die helle. Darum ist es wohl zu einfach, die Pfingstgeschichte als strahlende Erfolgsgeschichte des Geistes Gottes zu verstehen, die man der dunklen Geschichte vom Turmbau und der Sprachverwirrung gegenübersetzt. Wir müssen bedenken: in beiden Geschichten wird doch vom Wirken des Geistes Gottes erzählt.

Wenn wir dies erkennen, dann beginnt diese alte Erzählung zu einer faszinierenden Erzählung zu werden. Wir sehen die Dinge ja nicht so, wie sie sind, sondern wir sehen sie so, wie wir sind. Sind wir engstirnig und beschränkt, dann sehen wir sie engstirnig und beschränkt. Sind wir aber nicht. Und darum schauen wir – von Gottes Geist in die Weite geführt und offen für das Tiefgründige – das Neue: Da geben Menschen lange vor unserer Zeit ihren Kindern wichtiges weiter. Diese Kinder sind auf dem Weg, ihre chaotische Umwelt zu entdecken und zu verstehen. Kindgerecht wird ihnen von der Großmann-Sucht der Mächtigen erzählt. Das ist kein historischer Bericht; wer käme denn auf so eine Idee. Es ist eine Erzählung, die Kinder verstehen und nie wieder vergessen.

5. Und so erzählt unser Predigtwort: Es war eine Zeit, in der die Menschen unterwegs waren. Und obwohl sie in ihren Gründungssagen großartige Helden waren, war es ganz anders. Als sie sich hier niederließen, da hatten sie Angst. Gegen die Angst, ihren Feinden schutzlos ausgeliefert zu sein und dann zerstreut zu werden, bauten sie eine Stadt. Und damit jeder von ihnen reden sollte, bauten sie einen hohen Turm. Wie hoch? So hoch, dass seine Spitze bis an den Himmel reiche. So hoch? Ja, so hoch! Sie haben Ziegelsteine gestrichen und gebrannt. So viele Ziegel, dass kein Mensch sie zählen kann. Mit diesen Steinen und mit Erdharz, den zähen Ölklumpen, konnten sie bauen und immer weiter bauen. Sie meinten, sie seien die Größten und die Stärksten und sie könnten alle beherrschen. Aber Gott musste sie erst einmal suchen, so klein waren sie und so klein sind die Mächtigen, die uns Angst machen wollen, vor Gott. Dann hatte Gottes Geist eine prima Idee. Damit die Mächtigen nicht zu mächtig werden können und damit die kleinen Leute ihnen nicht völlig ausgeliefert sind, hat er dafür gesorgt, dass es so viele Sprachen gibt. Jetzt konnten die Möchtegern-Großen herumschreien, wie sie wollten. Es half ihnen nichts. Viele haben sie nicht verstanden und viele haben nicht getan, was die Schreier wollten. So hat Gott mit seinem guten Geist dafür gesorgt, dass die Mächtigen nicht allmächtig werden konnten.

6. Und wenn man erfährt, dass Babilim „Tor Gottes“ bedeutet, dann wird man daran denken, dass in unserer Sprache Babel „Durcheinander“ heißt. Nein, diese Stadt, von der so viele Kriege ausgegangen sind, diese einst gewaltig große Stadt ist kein Tor Gottes, sondern: Gott hat dies Durcheinander geschaffen, um ihre Macht zu brechen. Und darum sieht diese gewaltige Stadt auch so aus: mit heruntergekommenen Häusern und Straßen, nicht mehr so stark und schön und wichtig wie in früheren Zeiten.
So möchte ich die Geschichte vom Turmbau und der Sprachverwirrung neu verstehen. Sie erzählt davon, wie Gott wirkt, wie groß seine Macht ist im Vergleich zur Macht derer, die sich als Mächtige aufspielen. Diese können zwar versuchen, Menschen zu unterdrücken, aufzumischen und zu beherrschen. Er aber kann ihre Kommunikation zerstören, sodass sie ihre Macht verlieren. So lebendig und kreativ ist Gottes Geist, so befreiend und neu schaffend. Maria, die Mutter Jesu, hat davon in ihrem beeindruckenden Lied gesungen: Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter ... Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. (Lk 1)

7. Neben dieser guten Botschaft bewegt mich noch eine kritische Frage: Unser Fremdwort Diaspora heißt „Zerstreuung“. Es beschreibt die Situation von Gläubigen, die nur wenige sind unter Andersgläubigen und Andersdenkenden. Leben wir etwa zerstreut in so vielen Gemeinden, Kirchen, Gemeinschaften, Denkrichtungen, weil Gottes Geist der Herrschsucht von Interessensgruppen in Kirche und Gesellschaft entgegengewirkt hat? Über Urlaub, Autos, Essen und das Wetter können wir miteinander reden, aber über Glauben, Gebote, Gott, Kirche, und das, was der Nächste ist, nicht mehr wirklich! Hat er unsere Sprache verwirrt, sodass wir einander nicht mehr verstehen? Und sind wir mit der verwirrten Sprache und mancherlei Überheblichkeit über andersgläubige Christen schon offen für das Wunder von Pfingsten? Ich stammle und flehe: „Ich glaube, lieber Gott; hilf meinem Unglauben!“
8. Wo der Geist Jesu uns und mich berührt und bewegt, da baut er keine Schutzmauern, damit wir nicht zerstreut werden. Der Geist Jesu schafft Verbindungen, auf denen wir zueinander finden. Dann können wir anfangen, einander zu erzählen von dem, was Gottes Geist bei uns bewirkt. Und wir können zuhören und uns freuen, was Gottes Geist bei den anderen ausgelöst und geschaffen hat. Wo Jesus Christus der HERR unseres Lebens wird, da ist Heilung der Herzen, der Leiber und sogar der Sprache. Dann bleiben wir nicht in unseren christlichen Dunstkreis und klagen über Gebäude, die zu groß geworden sind. Vielleicht beginnen wir dann, die anderen Orte zu entdecken, aufzusuchen, einzuladen. Und wer weiß: Vielleicht leben wir neu miteinander, teilen unsere unterschiedlichen Fische und Brote und staunen, wie Jesus uns alle satt macht. Amen                                                    Pfarrer Christian Simon

Lied 136:1 O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein. Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an, dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.

136:7 Du Heilger Geist, bereite ein Pfingstfest nah und fern; mit deiner Kraft begleite das Zeugnis von dem Herrn. O öffne du die Herzen der Welt und uns den Mund, dass wir in Freud und Schmerzen das Heil ihr machen kund.

 

 

 

Heiliger Geist,

du machst lebendig, was am Boden liegt,

du hebst aus dem Staub, die verzweifelt sind,

du tröstest die Traurigen,

du schenkst einen neuen Atem.

 

Komm, Heiliger Geist,

erfülle mit deinem Wehen deine Kirche,

wecke deine Gemeinde auf, hier und auf der ganzen Erde,

schenke uns Zuversicht und Hoffnung,

lass uns feiern das Glück des Glaubens.

 

Komm, Heiliger Geist,

berufe Menschen in den Dienst deiner Gemeinde: Haupt- und Ehrenamtliche zur Seelsorge; Pfarrerinnen und Pfarrer zur Verkündung deines Wortes;  Diakoninnen und Diakone zum Dienst der Nächstenliebe an Kindern, Jugendlichen, Flüchtlingen, Armen, Ausgegrenzten und alten Menschen; Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker zum Lob Gottes.

 

Komm, Heiliger Geist,

ermutige alle, die zur Gemeinde gehören, sich mit ihren Gaben für den Bau deiner Gemeinde einzubringen, Verantwortung zu tragen und so den Glauben weiter zu tragen.

 

Komm, Heiliger Geist,

befreie uns Menschen aus der Sprachlosigkeit,

löse uns aus der Sprachverwirrung,

lass uns einander verstehen

über die Grenzen der Länder, Kulturen, Religionen hinweg.

 

Komm, Heiliger Geist,

mit Angst und Schmerz denken wir an Menschen in Not,

in den Kriegsgebieten, bedroht von Hass und Gewalt,

in Sorge um Leib und Leben, um Arbeit und Zukunft.

Lass uns erkennen: Wir sind eine Menschheit.

 

Komm, Heiliger Geist,

und bleibe bei uns,

gib uns die Kraft, das Unsere zu tun,

gib uns die Weisheit, unsere Grenzen zu erkennen,

gib uns den rechten Glauben,

heute und alle Tage unseres Lebens.

Amen.