Erntedank

+02.10.2022+ 5. Mose 8

5.Mose 8,7-18         

Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, 8ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, 9ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. 10Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.11So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst. 12Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst 13und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, 14dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, 15und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen 16und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte. 17Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. 18Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.

 

Liebe Gemeinde!

Mein Vater hat mir nach dem Abitur seine Spiegelreflexkamera überlassen. Vom ersten Lohn im Praxisjahr in Hof kaufte ich mir ein Objektiv: Tolle Brennweiten vom Weitwinkel bis zum Tele. Ich kann mich gut erinnern, als beides das erste Mal zum Einsatz kam. Du siehst das Bild vor dir. In Weitwinkelperspektive zeigt dir die Kamera in der Ferne: gutes Land, schöne Landschaft, Hügel, Täler, Weite, Viehherden. Früher musste man mit der Hand zoomen, heute geht es automatisch. Aber das Gefühl ist gleichgeblieben. Die Kamera zoomt den Ausschnitt, das Bild heran und lässt das Auge langsam durch die Landschaft wandern. Einzelheiten zeigen sich: zwischen den Bergen ein See; ein Bach fließt ins Tal gesäumt von Grün und Bäumen. Grasende Schafe; reifende Getreidefelder; Weinstöcke am Hang zu einem Fluss hinunter; eine Siedlung, Menschen am Brunnen, im Schatten der Bäume. Ein Obstgarten: blaue Feigen unter riesigen Blättern; rote Granatäpfel an zierlichen Bäumen. Frauen, Männer, Kinder tragen Körbe mit Früchten. Das Bild wandert. Ein Olivenhain kommt in den Blick. Die Kamera geht nah heran. Sie geht in die Knie. In Nahaufnahme siehst du Gräser und Feldblumen. Rosa, Lila, Gelb. Ein Käfer krabbelt einen Grashalm hinauf. Bienen machen sich an Blüten zu schaffen … Du hörst es summen. Du spürst die Wärme. Blumen entfalten sich. Du riechst den Sommer. Dein Herz weitet sich. Es füllt sich mit jener seltsam schmerzenden beglückenden Anteilnahme; dem Gefühl, zu etwas Großem zu gehören; beschenkt zu sein mit Schönheit, Fülle, Leben. Blumen pflücken oder kaufen ist eines, Blumen geschenkt bekommen etwas völlig anderes. Da liegen Welten dazwischen. Hier die eigene Initiative und Leistung, dort kommt mir etwas entgegen, was ich weder verdienen, fordern noch leisten kann – gänzlich umsonst, geschenkt.

Geschenke haben mit Liebe zu tun, mit Zuwendung und Achtsamkeit; sie sprengen jeden Erwartungs- und Verrechnungszusammenhang. Der Unterschied „zwischen einer gepflückten Blume und der geschenkten“ gilt immer, er gehört zur Ordnung des Lebens. Gott sei Dank! Denn nichts brauchen wir mehr als Geschenke, und gerade die können wir weder leisten noch erzwingen. Jedes Geschenk lässt uns spüren, dass wir von etwas anderem leben als bloß von unserer Leistung. Jede Gabe weist über sich hinaus. Sie sprengt unser Vorstellungsvermögen, sie ist wie eine Verheißung. Mitten im Vielerlei ein Moment der Ewigkeit – so wie wir an diesem Erntedankfest, ja auch in diesem Gottesdienst feiern.Beschenkt sein und tiefe Dankbarkeit spüren. Verbunden sein mit Gott und allem, was Gott geschaffen hat. Ewigkeit jetzt! 
Das Erntedankfest versucht dieses Unausdrückbare auszudrücken. Es lässt uns mit den Augen verweilen, die Sinne öffnen und empfinden. Es lockt uns zur Dankbarkeit. Und es beschwört uns, der Dankbarkeit Gestalt zu geben in unserem Leben. 

Das Predigtwort, das wir heute bedenken, stammt aus der großen Rede des Mose, die dieser an das Volk richtet, ehe sie ins Gelobte Land einziehen. Dieser Redeausschnitt nennt nachdrücklich die beiden Seiten des Erntedanks: den Lockruf zur Dankbarkeit und den Aufruf, der Dankbarkeit Gestalt zu geben im Leben. Mose betont dieses, obwohl er weiß, dass er nicht ins Gelobte Land kommen wird.
Dennoch führt (zoomt) er uns wie in einer Kamerafahrt bis zur geschenkten Blume und zeigt uns die festliche Fülle und Schönheit der Schöpfungsgaben wie wir sie hier vor dem Altar vor Augen haben. „Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.“

Im zweiten Teil mahnt er: „So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst.“ Gottes „Gebote und seine Gesetze und Rechte.“ zu halten als Ausdruck und Lebensgestalt der Dankbarkeit. Vergiss Gott, deinen Schöpfer nicht! “Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.“

Ja, was das Herz ergriffen hat, das will Gestalt gewinnen. Körperlich, dinglich, sinnlich, in Gebärden, Worten und Taten. Denk dir nur etwas aus. In der christlichen Tradition sind die alttestamentlich-jüdischen Lebensregeln oft viel zu schlecht weggekommen. Recht verstanden sind sie ja genau Ausdruck der Gottesbeziehung. Sie sind in Handlung umgewandelte Dankbarkeit. 

Damals wie heute ist die dankbare Lebenshaltung in Gefahr. Es ist peinlich zu sagen, aber offenbar ist es so, dass die Dankbarkeit in Vergessenheit gerät, je mehr uns Menschen gelingt, je besser es uns geht, je mehr Erfolg wir haben, je mehr wir besitzen, je mehr wir alles für selbstverständlich nehmen. Man nimmt mehr als man gibt! So trifft uns die Mahnung unmittelbar: „Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold sich mehrt, dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst.“ Vergiss nicht den Weg, den er dich geführt hat „aus der Knechtschaft“. Vergiss nicht die schweren Zeiten, die „furchtbare Wüste“, durch die Gott dich hindurchbewahrt hat. Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. „Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen.“ Nein! Gott sei Dank ist es anders. Unausdrückbar schöner. Ewigkeit jetzt!

Wir lassen uns zum Erntedank locken. Den Duft der Äpfel, Birnen und Zwetschgen. Die Schönheit der Kohlsorten. Die Faszination, dass aus einem Samen beeindruckende Pflanzen werden. Die Erntedankgaben 

und alles andere, was wir haben, locken. Zum Staunen, zum Danken und hoffentlich auch zum täglichen Tischgebet. „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt o Gott von dir. Dank sei dir dafür.“ Die Dankbarkeit des menschlichen Herzens spiegelt die geschenkte Blume. „Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land.“ 

Richte die Kamera jetzt auf dein Leben. Nimm in der Weitwinkelperspektive die Landschaft wahr. Spüre ihrer Schönheit nach. Dann lass die Kamera wandern. Durch die Landschaft deines Lebens … Ja, auch die „große und furchtbare Wüste“ liegt da. Aber Gott „ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen und speiste dich mit Manna“ … Oase. Rand der Wüste, Menschen, Garten, Wasser, Leben. Deine Kamera verweilt. Du gehst in die Knie. Du siehst Kleines groß und schön … Die geschenkte Blume

Diesen Tag wie eine geschenkte Blume in Empfang nehmen, mit seinen Chancen und Überraschungen, auch mit seinen Problemen – also tatsächlich Gottes Liebe und Gottes Schöpferhandeln erspüren. Ein liebevoller Blick, eine schöpferische Pause im Gespräch, ein heimliches Gedenken – Hauptsache, das Wunder wird spürbar, das Geschenk! „Das war aber nicht nötig“, sagt die Gastgeberin, wenn man ihr etwas schenkt. Recht hat sie. Geschenke sind nicht nötig, so wie Essen und Trinken. Aber sie sind viel nötiger - wir leben davon.

Gott sei Dank! Amen.                                                                                    

Christian Simon, Pfr.