Buß- und Bettag (Abend)

+18.11.2020+ Jesaja 1

 

Liebe Gemeinde!

Ich bin mir sicher, Sie kennen das auch. Man merkt manchmal wie sich da in unseren Beziehungen zu anderen Menschen was zusammenbraut. In den Beziehungen zu unserer Partnerin oder unserem Partnern. Zu unseren Eltern und Verwandten. In den Beziehungen zu unseren Freundinnen und Freunden. Da braut sich was zusammen. Ein Konflikt oder ein Streit, der nicht ordentlich geklärt ist. Und wenn es dann einige Zeit vor sich hin schwelt und keiner so recht eingreifen will …  Ja dann „rumst“ es. Und manchmal auch gewaltig.

Im Predigttext für heute Abend geht es nicht um einen Streit zwischen zwei Menschen. Nein, Gott ist sauer. Und äußert sich scharf gegen sein Volk. Wir lesen davon im Buch des Propheten Jesaja, im ersten Kapitel, die Verse 10-18. Höret des HERRN Wort, ihr Fürsten von Sodom! Nimm zu Ohren unsers Gottes Gesetz, du Volk von Gomorra! Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fetten von den Gemästeten und habe keine Lust zum Blut der Farren, der Lämmer und Böcke. Wenn ihr hereinkommt, zu erscheinen vor mir, wer fordert solches von euren Händen, daß ihr auf meinen Vorhof tretet? Bringt nicht mehr Speisopfer so vergeblich! das Räuchwerk ist mir ein Greuel! Neumonde und Sabbate, da ihr zusammenkommt, Frevel und Festfeier mag ich nicht! Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahrfesten; ich bin ihrer überdrüssig, ich bin's müde zu leiden. Und wenn ihr schon eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und ob ihr schon viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. Waschet, reiniget euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, laßt ab vom Bösen; lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helfet dem Unterdrückten, schaffet dem Waisen Recht, führet der Witwe Sache. So kommt denn und laßt uns miteinander rechten, spricht der HERR. Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.

Gott ist wütend. Umgangssprachlich könnte man sagen: Er hat die „Schnauze voll“ – sogar „gestrichen voll“. Er ist so wütend, dass er sein Volk anspricht mit „ihr Herren von Sodom“, „du Volk von Gomorra“. Einmal soll damit deutlich werden, dass das Volk Israel immerzu und fortwährend sündigt. Und zum anderen schwingt da auch eine Drohung mit. Euch könnte das gleiche drohen wie den Städten Sodom und Gomorra. Die komplette Zerstörung. (Die Geschichte der beiden Städte wird im ersten Buch Mose in den Kapiteln 18 und 19 erzählt.)

In unserem Textabschnitt spricht Gott davon, wie satt er die Opfer hat, die das Volk ihm darbringt. Egal was für ein Opfer. Gott wird zusehends polemisch: Warum zertretet ihr meine Vorhöfe? Warum verschandelt ihr mit eurer Anwesenheit mein Haus? Meinen Tempel? Der Gipfel ist in Vers 15 erreicht:

„Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut.“ 

 

Gott reagiert hier zutiefst menschlich, finde ich. Viele negative, schlechte Erfahrungen haben sich angestaut. Sie müssen raus. Danach zeigt Gott auf, wie es seiner Meinung nach besser werden wird zwischen ihm und seinem Volk.

Blicken wir auf diesen Text, hören wir ihn und lesen wir ihn – nehmen ihn war in der Vielfalt der allzu menschlichen Gefühle. Stellen wir uns vor, wir blicken in das Angesicht Gottes, als ihn die Wut überkommt. Wutverzerrt. Zornig. Grimmig. Starr. Sich Abwendend. Aber in dem Ausbruch der Gefühle sich doch zuwendend.

Wie sehen unsere Gesichter aus, wenn uns Wut und Zorn im Streit überfallen? Haben Sie ihr Gesicht schon einmal betrachtet in so einer Situation? Ich kann mich daran nicht erinnern. Ich erinnere mich aber an das Gesicht meiner Mutter. „Also Sebastian, so geht das nicht!“ Neben dem Zorn über mich schwingt doch Sorge mit. Fürsorge für mich.

Oder das Gesicht meiner Freundin. „Was soll denn das bitte?“ Gelegentlich schwingt da ein gewisses Unverständnis mit, warum ich etwas so tue, wie ich es tue. 

Was sehe ich in den Gesichtern meiner Mitmenschen? Will ich überhaupt etwas in ihnen sehen? Oder bin ich froh, wenn ich gar nicht erst hinein sehen muss? Mit ihren Geschichten, ihren Problemen und Zweifeln. Aber auch ihrer Freude und ihrem Strahlen.

Wenn ich in die Gesichter meiner Mitmenschen hineinsehe, nehme ich Veränderungen wahr. Veränderungen aufgrund von Gefühlen. Zorn und Wut. Freude und auch Gleichgültigkeit. Aber auch Veränderungen, die auf die vergangene Zeit hindeuten. Haare werden grauer. Und manchmal weniger und fallen aus. Falten im Gesicht werden tiefer. Das Leben mit seinen Siegen und Niederlagen gräbt sich ein in das Gesicht. Ich stelle fest, dass ich im Gesicht meiner Mitmenschen die Vergänglichkeit des Lebens sehen kann. Das schmerzt mich und ängstigt mich. Und die Verletzlichkeit eines Jeden. In den Gesichtern meiner Mitmenschen wird mir die Ebenbildlichkeit von uns mit Gott bewusst. Denn jedes Gesicht – von uns, die wir hier in der Kirche sitzen in der ganzen Welt – ist doch einzigartig. Wir können es uns nicht heraussuchen unser Gesicht. Und dennoch bin ich manchmal unzufrieden mit meinem Gesicht. Da stört ein Leberfleck, dort eine Hautunreinheit. Meine Mitmenschen sehen mein Gesicht an, sie sehen mich an. Und auch Gott sieht mich an. Wir sind angesehen von Gott. Wir haben Ansehen bei Gott. Gott, der streitbar ist und zum Streit herausfordert. Gott, der uns ansieht und uns den Streit überwinden lässt. Weil wir angesehen sind von Gott, ist uns doch oft eine Wahl gegeben. Zwischen hinsehen und wegsehen. Zwischen Streit und leiseren Tönen. Das ist unsere Würde. Aber auch eine gewisse Pflicht. Amen.