3. Sonntag nach Trinitatis

+03.07.2022+ Hesekiel 18

Liebe Gemeinde!

Eine Aussage eines Kindes kann manchmal verblüffen. Manchmal lenken die Kinder ihr Augenmerk auf eine Sache, die Erwachsene gar nicht erwartet haben. Vielleicht sind ihre Fragen sogar peinlich, weil sie auf eine Wahrheit hinweisen, die wir gerne vertuschen würden.

Die Oma war gestorben. Auf dem Heimweg von der Beisetzung fragt der vierjährige Enkel: „Warum lässt Gott denn überhaupt Omas auf die Welt kommen, wenn er sie ja doch sterben lässt?" Solche Fragen werden wir nur zögernd und hoffentlich behutsam beantworten.

„Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen?" So lässt Gott durch seinen Propheten fragen. Wie eine Gegenfrage klingt das zu den bangen Fragen, die sich aufdrängen: Gefällt Gott das Sterben denn? Ist Gott so zornig, dass er Menschen den Tod schmecken, erleiden lässt? Empfindet er gar dadurch Genugtuung? Paulus schreibt: Der Sünde Sold ist der Tod. Sterben wir, weil wir sündigen? Fragen drängen sich auf, wenn wir jeden Tag die Zeitung aufschlagen. Sie stehen im Raum, wenn wir Rundfunkprogramme und Fernsehsendungen nicht nur nach seichter Unterhaltung durchforsten, sondern uns den Realitäten wie in der Ukraine, in Mali, Syrien, Israel, Jemen, Myanmar, Afghanistan stellen, die uns da präsentiert werden mit ihren Katastrophen, mit der Gewalt mit der Menschen gegen Menschen und Natur umgehen. Die Menschheit ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Schrecknisse und Greuel beunruhigen uns immer auf´s Neue. Das tausendfache Sterben und der Tod machen uns ohnmächtig und sprachlos.

Aber diesem Gott, von dem hier hören, gefällt dieses Sterben nicht – weder das Sterben, das jedem von uns begegnen wird, noch das Sterben in den Sünden, das viel unheilsamer, viel verborgener und gewaltiger ist als wir gemeinhin annehmen!! Er liefert dem Propheten nicht schlüssige Beweise; aber er lässt in seine Motive blicken.

Denn: Gott will das Leben. Gott will das Leben; der Tod des Gottlosen gefällt ihm nicht

Der „Tod des Gottlosen": das ist nicht das Sterben, das keinem Menschen erspart bleibt. Sonst blieben ja die für immer am Leben, die sich zu Gott halten. Hier ist der geistliche Tod gemeint. 

Im Lukas-Evangelium finden wir die Geschichte von dem Vater mit den beiden schwierigen Söhnen – besser bekannt als die Geschichte vom verlorenen Sohn. Als der Jüngere abgerissen und ausgebrannt nach Hause kommt, lässt der glückliche Vater auftischen und einladen. Da reagiert der Ältere eifersüchtig und trotzig: „Dieses Fest läuft ohne mich; da geh' ich gar nicht rein." Es kommt zu einem Gespräch zwischen dem Vater und dem Trotzkopf. Unter anderem sagt der Vater: „... dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden ..."

„Gelebt" hat der Ausgerissene immer noch. Aber er war getrennt vom Vater, vom Urgrund des Lebens. Deshalb musste die Diagnose so lauten: „... dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden." Mit keiner einzigen Bibelstelle wird der Tod verharmlost, auch der leibliche nicht. Der Tod ist nicht der große „Freund Hein"; er ist grausig und schrecklich. Noch schlimmer aber als der keineswegs „harmlose" leibliche Tod ist nach Überzeugung der Bibel der geistliche Tod, der Tod, der Trennung von Gott zur Folge hat! Gott will den Tod nicht. Niemals wird er sich damit abfinden, dass seine Geschöpfe auf ewig von ihm getrennt sein sollen. Das sollen wir wissen. Oft genug müssen wir dies gegen allen Augenschein glauben. Da sind so viele offene Fragen - nicht nur bei dem vierjährigen Jungen, der seine Oma verloren hat.

Gott will das Leben; wir sind herzlich und dringend zur Umkehr eingeladen

Gott lädt dringend ein. Ausreden zählen bei ihm nicht. In Israel hatte sich ein Sprichwort gebildet: Wir baden aus, was die Generation vor uns verbockt hat. „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden." Gott lädt dringend ein, denn jeder steht persönlich vor ihm dem lebendigen Gott! - in eigener Verantwortung: „Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben". - „Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der Herr."

Wir sind dringend eingeladen. Wir sind aber auch herzlich eingeladen. Die Worte, die Gott seinem Propheten anvertraut hat, stecken voller starker Gefühle. Jetzt wird es Zeit, dass wir auf Jesus Christus zu sprechen kommen. Hesekiel konnte von ihm noch nicht viel wissen; er ist über Ahnungen nicht hinausgekommen. Wir aber lesen als Christen auch die Prophetenworte des Alten Testamentes von Jesus Christus her. Damit Menschen nicht für immer von Gott getrennt sein müssen, hat Gott seinen Sohn gesandt als Kind in der Krippe; als Mensch wie wir. Damit gegen den ewigen Tod ein wirkungsvolles NEIN steht, hat dieser Sohn sich weit heruntergebeugt. Damit das Wort vom ewigen Leben nicht nur ein schöner Traum bleibt, ist Jesus Christus für uns gestorben.

Wir sind dringend eingeladen, das Leben zu beginnen, das Jesus Christus uns bietet. Wir sind herzlich eingeladen; denn dieses unser Leben ist nur möglich, weil Gott sein Bestes gegeben hat für unsere Sünde, seinen Besten für unser Versagen.

Der Prophet hat nicht nur Allgemeinplätze auf Lager, wenn er von der notwendigen Umkehr spricht. Im Namen Gottes bringt er etliches auf den Punkt: Weg vom Götzendienst und von den sexuellen Grenzüberschreitungen! So lesen wir im sechsten Vers des Kapitels. Hört auf mit der Unterdrückung, mit der Rachgier und dem Egoismus! Lasst euch erweichen von der Not der anderen! Das steht im siebten Vers. Hört auf damit, angesichts der Notlage anderer nur Wohltäter in eigener Sache zu bleiben! (Vers 8).

Hesekiel konnte unsere Zeit, unsere Gesellschaft nicht kennen. Und doch könnte dieser leidenschaftliche Aufruf erst gestern entstanden sein. Viele bestreiten die Notwendigkeit sich zu ändern; Buße zu tun und umzukehren; wir sehen unsere Verkehrtheiten nicht. Unsere Mitmenschen sehen sie sehr wohl, nicht selten seufzen und leiden sie unter ihnen. Gott sieht sie noch viel deutlicher, er wartet auf unsere Umkehr. Der jüdische Gelehrte Martin Buber sagte einmal: „Die größte Schuld des Menschen ist, dass er in jedem Augenblick die Umkehr tun kann und – nicht tut.“

Viele meinen ja, Gott würde es schon richten. Sie tun so, als wenn Gott dafür verantwortlich wäre, dass sie ihr Leben ändern. Interessanterweise steht hier im Text nicht, dass Gott uns ein neues Herz und einen neuen Geist schenken würde. Dann wäre ja alles ganz einfach und wir bräuchten ihn nur machen zu lassen.

Nein. Hier steht: „Macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist.“ Hier wird an unsere Eigeninitiative appelliert. Man muss es also schon wollen, nicht nur ein bisschen, sondern so sehr, wie man kann. Ohne so eine grundlegende Sinnesänderung sind die Probleme, die uns privat und weltweit umtreiben, nicht zu lösen. Ein „Nur-Weiter- So“ führt uns nur noch weiter in die Krise, in der wir uns befinden. Nur wenn sich unsere Herzen ändern, kann es in der Folge auch zu den notwendigen Veränderungen im alltäglichen Leben kommen. Der neue Geist hat konkrete Schritte zur Folge.

Auch hier kann uns das Wort eines unserer Glaubensväter hilfreich sein. Ignatius von Loyola sagte: „Handle so, als hinge alles von dir ab, und glaube so, als hinge alles von Gott ab.“ Noch einmal: Gott will nicht unseren Tod, sondern unser Leben. In diesem Sinn wiederhole ich abschließend die Aufforderung des Textes, die die Aufforderung Gottes durch den Propheten ist: „Bekehrt euch, so werdet ihr leben.“

Es besteht also nach wie vor Grund zur Hoffnung. Niemand ist festgelegt. Niemand muss sagen: Ich kann nicht anders. Nein. Jeder soll wissen: Es geht anders. Ich kann auch anders. Gott sei Dank. 

Gott will das Leben. Er liebt den, der umkehrt. Dann ist bei Gott Freude.

Amen.